Den Philosophen und noch vielmehr den "stolzen" Theosophen[1] wird oft vorgeworfen, dass sie nicht beten. Hören wir dann erstmal nur ein Gebet der sich unter Böhmes umfangreichen Schriften befindet.(Schriften IX,I,30;S.15-17) Es beginnt so:
Ich armer, unwürdiger Mensch komme abermal vor dich, grosser, heiliger Gott, und hebe jetzt meine Augen zu dir auf, ob ichs wohl nicht werth bin, so hat mich aber deine grosse Barmherzigkeit, und deine theure Zusage in deinem Worte kühne gemacht, daß ich jetzt die Augen meiner Seelen Begierde zu dir aufhebe; denn meine Seele hat jetzt das Wort deiner Verheissung in sich gefasset, und mit diesem kommt sie zu dir; und ob sie noch ein fremdes Kind vor dir ist, welches dir ungehorsam war, nun aber begehret gehorsam zu seyn, so windet sich aber meine Seele jetzt mit ihrer Begierde in das Wort ein..."
Das ist sicher ein Gebet und es ist ganz christlich traditionell. Das ganze Gebet verläuft auch ganz typisch: Am Anfang findet man eine Haltung der Buße – Worte über die Sündhaftigkeit des betenden Menschen. Dann, und das wirft schon etwas Licht auf die Grundhaltung des Betenden, ist erst das Wort erwähnt, das die SEELE des Mystikers verlangt.
Für diese seine (d.h. des Mystikers) Begierde ist der leibliche Christus und
alle seine heilige Geschichten nur ein Vehiculum.Später kommt noch ein anderer, noch traditionellerer Teil des Gebets: Die Ereignisse aus dem Leben Christi sind nacheinander angeführt, wie man es auch an vielen Stellen in der frommen Literatur der Epoche findet, zum Beispiel in katholischen Litaneien, sogar mit derselben Formel: "durch seine heilige Empfängnis, durch seine Geburt" usw. Die "Litanei" aber klingt ausgeprägt mystisch, weil alle diese Ereignisse von dem betenden Mystiker miterlebt werden; das Leben Christi wird zum Leben des Mystikers und vice versa. Hören wir einmal diesem Teil des Gebets zu:
...in das Wort ein, das Mensch worden ist, das Fleisch und Blut worden ist, das in meiner Menschheit die Sünde und den Tod zerbrochen hat, das in meiner Seelen den Zorn in Liebe verwandelt hat, das dem Tode seine Macht, und der Höllen ihren Sieg in Seele und Leib genommen hat, welches meiner Seelen eine offene Pforte zu deinem klaren Angesicht deiner Kraft gemacht hat.
In dieses allerheiligste Wort habe ich, o grosser, allerheiligster Gott, meiner Seelen Hunger und Begierde eingeführet, und komme jetzt vor dich, und rufe in meinem Hunger durch dein Wort, das Fleisch und Blut worden ist, in dich, du lebendige Quelle: Dieweil dein Wort ist das Leben in unserm Fleisch worden, so fasse ichs in meiner Seelen Begierde, als mein eigen Leben und dringe mit meiner Seelen Begierde durch dein Wort im Fleische Christi (durch seine heilige Empfängniß in Maria der Jungfrauen, und durch seine ganze Menschwerdung, durch seine heilige Geburt, durch seine Taufe am Jordan, durch seine Versuchung in der Wüste, da Er in der Menschheit, des Teufels und dieser Welt Reich überwand, durch alle seine kräftige Wunderwerke, die Er auf Erden thät, durch seinen Spott und Verachtung, durch sein unschuldig Leiden und Sterben, durch sein Blutvergiessen, da Gottes Zorn mit in der Seele und Fleisch ersäufet ward, durch seine Ruhe im Grabe, da Er unsern Vater Adam aus seinem Schlaf aufweckte, da er war des Himmelreichs eingeschlafen, durch seine Liebe, die durch den Zorn drang, und in der Seelen die Hölle überwand und zerstörete, und durch seine Auferstehung von den Todten, durch seine Himmelfahrt, durch die Sendung des H. Geistes in unsere Seele und Geist, und durch alle seine Worte und Verheissung, daß du Gott Vater willst den H. Geist geben, denen, die in dem Namen und durch das Wort, das Mensch ward, bitten werden) in dich.
Was ist also an diesem Gebet charakteristisch, oder eigenartig? Es ist sehr umfassend[2] – aber das ist am Anfang des 17.Jahrhunderts, in der beginnenden Barockepoche, auch nicht so ungewöhnlich. Wir haben aber doch einige Anhaltspunkte, die uns die Eigenart des Gebets zeigen können, erstens das häufig vorkommende Verlangen oder die BEGIERDE des Betenden. Das ist sicher ein mystischer Zug. Verlangen nach Gott war charakteristisch für ganze Plejaden von Mystikern schon von Augustinus und Bernhard an. Für Böhme ist Verlangen nach Gott das Kernstück seiner Frömmigkeit. In Signatura Rerum lesen wir eine wunderbare Erklärung: Dann des Menschen Seligkeit stehet in deme, daß er in sich habe eine rechte Begierde nach Gott: dann aus der Begierde quillet die Liebe aus, das ist, wann die Begierde Gottes sanftmuth in sich empfähet, so erfindet die Begierde in der Sanftmuth in sich, und wird wesentlich, das ist alsdann himmlische oder Göttliche Wesenheit oder Leiblichkeit; und darinnen stehet der Seelen Geist (welcher im Zorne, als im Tod verschlossen lag) in der Liebe Gottes wieder auf, dann die Liebe tingiret den Tod und die Finsterniß, daß sie, der Göttlichen Sonnen Glanz wieder fähig ist. (5,11) Dass wir eine Begierde nach Gott haben, ist für Böhme auch ein Beweis dafür, dass wir in uns das Leben auch aus dem zweiten, dem hellen Principium haben[3]
Bei Böhme ist aber die Begierde etwas mehr als bei diesen Mystikern. Bei den meisten von ihnen ist es die Begierde des Menschen, der nach Gott verlangt. Das gibt es sicher bei Böhme auch. Wenn wir weiter fragen, wo ruhen die Wurzeln des Zustandes des Begehrens, finden wir sie meistens in gefühlter Unzulänglichkeit des Mystikers. Das gilt sowohl für die intellektuelle Vernunftsmystik wie auch für die Gefühlsmystik. Sehr schön ist diese Stellung zu sehen schon in Augustins Confessiones: Der Mystiker verlangt nach Gott, weil er sich selbst nicht hinreicht und unfähig ist, selbst eine Antwort auf sein Transzendenzbedürfnis zu geben. Böhme leugnet die Unzulänglichkeit der menschlichen Natur nicht. Das ist hinreichend sichtbar aus dem ganzen Verlauf dieses, wie auch seiner anderen Gebete. Doch die mystische Begierde ist für ihn nicht, zumindest nicht an erster Stelle, aus der Unvollkommenheit des Menschen stammend und dadurch geprägt. Die Wurzel der Begierde liegt für Böhme in Gott selbst. Er ist die Ursache des Begehrens des Mystikers. Doch wir können nicht einfach sagen, dass Gott die Begierde in das Herz des Mystikers gelegt hat. Die Begierde waltet in dem Mystiker, weil sie die Begierde GOTTES ist, d.h. sein Attribut, aber noch mehr: Begierde ist ein Prinzip der Urbewegung in Gott, wodurch sich Gott selbst entfaltet, noch ehe Er sich in die Welt ausgoss. (Und "ehe" muss hier natürlich ontologisch, nicht zeitlich, verstanden werden.) Begierde ist also ein Urphänomen, das dem Göttlichen unterliegt, wie das Göttliche der Welt unterliegt. Hier sind wir also weiter, als bei Augustinus, der ja auch weiß von seinem unruhig geschaffenen Herzen – hier tritt der Renaissancemensch mit ganz neuem Selbstbewusstsein hervor, wenngleich noch im Gewand der traditionell christlichen Demütigkeit.
Aber mit der Begierde bei Böhme ist es noch komplizierter. Wir haben schon gesagt, das sie ein Urphänomen ist; sie gehört dementsprechend also zu dem "ersten" Stadium der Gottheit, zu dem dunklen Principio, woraus die erste Qualität stammt, ganz am Anfang aller Entwicklung der Natur, wie Böhme sie schildert. Die Qualität der Begierde ist also Herbe, wie wir es auch an mehreren Stellen in Böhmes Schriften bezeugt haben.[4]. In Mysterium Magnum wird "Begierde" sogar zu ein Synonymum von Herbigkeit (MM 6,14). Wie kann dann solche Begierde das Verlangen sein, womit die Seele nach Gott verlangt? Und – die zweite Frage – wenn schon die Begierde des Mystikers mit der Begierde Gottes vereinigt ist, wird der Mystiker in der Begierde Gottes wieder die alte herbe Begierde finden, die am Anfang des schmerzhaften Prozesses der ganzen Natur, und demnach auch seiner Seele, gestanden hatte? Das ist undenkbar. Vielleicht auch deswegen und aufgrund ähnlicher mystischen Spekulationen unterscheidet Böhme in seinen späten Schriften zwischen Begierde und Lust, wobei beide Eigenschaften Gottes sind.[5]
Vielleicht haben wir auch in unserem Text einen zarten Beleg von solcher Unterscheidung. Erst hebt der betende Mystiker die Augen seiner Seelen Begierde auf (ganz am Anfang des Gebets in der dritten Zeile). Natürlich kann das nur eine Bildsprache sein, aber es gibt noch eine andere Stelle, wo die Ungleichheit beider Begierden mehr hervortritt: "In dieses allerheiligste Wort habe ich, o grosser, allerheiligster Gott, meiner Seelen Hunger und Begierde eingeführet." Hier ist schon sichtbar, dass des Mystikers Begierde, die für Böhme einem Hunger gleicht, nicht von absolut derselben Gattung ist, wie die Begierde Gottes, die sich in dem Wort auflöst.
Was ist also ein Ergebnis dieser Psycho- und Theologie der Begierde? Vielleicht könnten wir es mit Böhmes eigenen Worten zusammenfassen, die in DrfLeb 8,36 stehen: "Also finden und gründen wir, und habens in wahrer Erkentniß, daß die arme Seele im Geiste und in der Tinctur dieser Welt gefangen liegt in einer fremden Herberge, und hat nicht ihr Licht der Majestät: Denn hätte sie das, so ruhete sie, und begehrete nichts mehr; Und finden wir, das sie im Tode gefangen lieget in grosser Unmacht; den hätte sie ihre Tinctur, so schiene die Majestät in ihr, in der sie ein Kind Gottes ist."
Schauen wir aber noch ein wenig auf den einer Litanei ähnlichen Teil des Gebets, wo Böhme all die soteriologischen Ereignisse und Vorgänge aus der Heilsgeschichte aufzählt. Zu diesen sind nämlich auch zwei Hinweise hinzugefügt: Ein direkter Hinweis auf Gottes Liebe, und ein indirekter Hinweis auf Gottes Zorn in dem Leibe und in der Seele (der sich in dem Blut Christi ertränkt). Dass gerade diese zwei Aspekte Gottes hier zu den Heilsereignissen hinzugefügt sind, ist keineswegs ein Zufall. Diese zwei hier von Böhme angegebenen Eigenschaften Gottes sind immer und überall bei Böhme die konstitutive und schaffende Grundprinzipien der Welt, auf dem die Welt ruht und aus dem sie erschaffen wird. Zu solcher Auffassung finden wir bei Böhme überall zahlreiche Beispiele, vor allem in dem Buch "Beschreibung der drei Prinzipien göttlichen Wesens (DrfLeb).
Das Gebet endet mit einer langen, dreiteiligen Invokation:
O du Leben meines Fleisches und der Seelen, in Christo meinem Bruder! Zu dir flehe ich in meiner Seelen Hunger, und bitte dich aus allen meinen Kräften, wiewol sie schwach sind, gieb mir doch, was du mir in meinem Heilande Jesu Christo geschenket und versprochen hast, als sein Fleisch zur Speise, und sein Blut zum Trank, meiner armen hungrigen Seelen zur Labung, auf daß sie in deinem Wort, das Mensch ward, möge kräftig werden , und sich erquicken, dadurch sie recht lüsternd und hungrig nach dir werde.
O tife in dem Allersüssesten Namen Jesu! Ergieb dich doch in meiner Seelen Begierde ein: hast du dich doch darum in der Menschheit beweget und nach seiner grossen Süßigkeit offenbaret, und rufet uns zu dir, die wir nach dir hungerig und durstig sind, und hast uns zugesaget, du wollest uns erquicken. Jetzt sperre ich meiner Seelen Gaumen gegen dir, o allerheiligste, süsseste Wahrheit, auf; und ob ich unwürdig bin, von deiner Heiligkeit solches zu begehren, so komme ich aber durch dein bitter Leiden und Tod zu dir, da du meine Unreinigkeit hast mit deinem Blute besprenget, und in deiner Menschheit geheiliget, und mir eine offene Pforte durch deinen Tod zu deiner süssen Liebe in deinem Blute gemacht; durch deine heilige fünf Wunden, daraus du dein Blut vergossen, führe ich meiner Seelen Begierde in deine Liebe ein. O Jesu Christe, Gottes und Menschen Sohn! Nimm doch dein erworbenes Erbe, das dir dein Vater hat geschenket, in dich. Ich rufe in mir durch dein heiliges Blut und Tod in dich, thue dich in mir auf, daß dich meiner Seelen Geist in sich erreiche. Greife du mit deinem Durst nach meinem Durst in mir, führe deinen Durst, den du am heiligen Creuze nach uns Menschen hattest, in meinen Durst, und tränke mich mit deinem Blute in meinem Durst, auf daß mein Tod in mir, der mich gefangen hält, in deinem Blute der Liebe ersäufe, und mein verblichenes Bild (das in meinem Vater Adam in der Sünden des Himmelreichs verblich) in deinem kräftigen Blute lebendig werde; und zeuch es meiner Seelen wieder an, als einen neuen Leib, der im Himmel wohnet, darinnen deine heilige Kraft und Wort, das Mensch ward, inne wohnet, welches der Tempel deines H. Geistes ist, der in uns wohnet, wie du uns zugesaget hast: Wir wollen zu euch kommen, und Wohnung in euch machen.
O grosse Liebe Jesu Christi! Ich kann nichts mehr, als ich ersencke meine Begierde in dich; dein Wort, das Mensch ward, ist die Wahrheit: Weil du mich hast heissen kommen, so komme ich jetzo, mir geschehe nach deinem Worte und Willen. Amen.
Die Invokation ist an Christus gerichtet, obwohl es an manchen Stellen so aussieht, dass die ganze Gottheit einbezogen ist. (Mit der Trinität hatte Böhme immer Schwierigkeiten, obwohl er nie das trinitarische Dogma ausdrücklich ablehnte. Von diesem Gesichtspunkt aus sind seine Schriften voll von Inkonsequenzen.) Was interessant sein kann, wiewohl es nicht sehr ausgeprägt ist, das ist das Innewohnen nicht nur des Geistes, sondern auch Christi im Geiste des Menschen. Solche Personifizierung ist sicher ein mystischer und zugleich auch gnostischer Zug. Das ganze Gebet klingt auch sehr persönlich – beachten wir nur die Häufigkeit von Ausdrücken wie "in mich", "in dich", "mir", "mein" usw.
Ganz am Ende des ganzen Gebetes erscheint noch einmal die Begierde und findet auch ihre mystische Lösung: Der Mystiker senkt seine Begierde ein in Gott, damit sie Erlösung erlangt in der großen, vom Ungrund des Willens bis zum Schall und WortderLiebe führenden, Wunderbewegung der ganzen Gottheit[6], woher sie auch stammt und wo allein sie gestillt werden kann: Ich kann nichts mehr, als ich ersencke meine Begierde in dich.
Mit den Mystikern aller Zeiten – und auch in guter Tradition der Reformation – weiß Böhme (und als ein Mystiker auch spürt), dass seine Lage von ihm selbst nicht zu lösen ist, dass Gott selbst sie übernehmen muss. Böhme aber denkt weiter und tiefer. Das ist an dieser Stelle nur leicht angedeutet. Das Ersenken in Gott ist das, was den Kreis vollendet und schließt, der durch die Begierde, Gottes Begierde, angefangen hat, und dessen größerer Teil durch die Schöpfung und die Natur bis zur Seele des Mystikers führte.
Man grübelt manchmal darüber, warum findet man bei Böhme so viele theosophische Spekulationen, warum sind für ihn die Qualitäten und Signaturen so wichtig, warum ist all dies Naturleben für einen frommen Mystiker so bedeutend und warum wird gerade darauf ein System gebaut, das von seinem Urheber gar nicht als eine Philosophie, sonder vielmehr als eine mystische Einleitung zu Kontemplation und einem frommen Leben gemeint war. Die Antwort findet man vielleicht hier. Wie der Mystiker sich selbst von Gott nicht absondern kann, so ist auch Gott untrennbar von der Schöpfung. Sich in die Gottheit zu ersenken, heißt, die ganze Komplexität der Naturprozesse in sich hineinzunehmen und damit und dadurch die Erlösung zu erlangen.
Bleiben wir noch eine Weile bei der Innewohnung des Geistes in der Seele. Sie ist eigentlich das Ergebnis dieser ungeheuren Kreisbewegung. Und sie ist auch eines der Elemente, die Hegel an Böhme so sehr gefallen haben. Und dabei sind wir bei einem der charakteristischen Züge des "theosophischen Gebets", wenn wir es so nennen dürfen: Ein solches Gebet stellt sich nicht dem Weltenlauf entgegen, sondern reiht sich mit seiner "Begierde" ruhig in diesen Lebensstrom ein. Also die Grundhaltung des theosophischen Gebets könnten wir durch die Bitte: "Dein Wille geschehe", beschreiben. Und auch wenn Böhme an anderer Stelle schreibt: "Tilge du doch deines Vaters Zorn mit deiner Liebe in mir, und stärcke mein schwaches Bild in mir." (IX, I.44) ist das nichts, was dem Prozess der Selbstoffenbarung Gottes fremd wäre. Genau umgekehrt; es ist gerade die Durchführung dieses Prozesses in der eigenen Person des Mystikers, in seiner Individualität.
Wir finden in dem Gebet noch andere interessante Themen, und zwar:
Böhme verbindet Christi Ruhen im Grab mit Adams Schlaf im Paradies. Diese Parallele, wenn auch nicht ganz neu – sie findet sich schon in der Osterhomilie des Melito von Sardes – ist immerhin für Böhmes Exegese charakteristisch und wichtig: Adams Schlaf im Paradies ist nämlich für Böhme die erste Phase von Adams Fall, die Vergessenheit, und das Genießen der Frucht ist davon nur die Auswirkung. Durch den Schlaf hat Adam das Paradies verloren und ist in die Vergessenheit gefallen.[7] Dadurch taucht auch ein sehr wichtiger gnostischer Zug des Gebetes auf. Die Metapher des Schlafens ist bei Böhme nicht vereinzelt. Wir finden sie z.B. auch in einem Passus aus dem Gebete in IX,I,44:
O grosser Gott, ich schlummere noch, und sehe dich nicht in der Tieffe deiner Kraft und Macht, wecke mich doch gar in dir auf, daß ich in dir lebendig werde: Zerbrich doch den Baum deines Zorns in uns, und laß deine Liebe in uns grünen!
Interessant ist hier die Verknüpfung dieser Idee mit dem Bilde des Baums des Zornes. Hier nur vielleicht eine Erklärung, was für Böhme der Baum des Zornes ist. In der modernen mathematischen Sprache könnten wir sagen, es ist ein binärer Baum. Wodurch ersteht er? Ganz am Anfang des Weltprozesses durch Ringen der ersten zwei Motiven der "Herbigkeit", was kurzgesagt die Tendenz zu Selbstfassung und Selbstschliessung, und der "Bitterkeit", was ist eine Gegenbewegung zu diesem ersten Motiv ist, die man vielleicht "Selbsterhebung" (cum grano salis) nennen könnte (Böhme kennt insgesamt sieben solcher Kräfte, die er "Qualitäten" nennt). Die treibende Kraft ist hier das erste Motiv, also immer, wenn ein ausbalancierter Zustand beider Qualitäten erreicht ist, pflanzt sich das erste Motiv in beiden erreichten Varianten wieder fort, worauf das Zweite immer reagieren muss; so vermehrt sich die Menge der Möglichkeiten ad infinitum. Ein anderes Bild, das Böhme zur Beschreibung dieses Prozesses nutzt, ist ein Rad, weil das Reagieren ad infinitum weitergeht und trotzdem nichts grundsätzlich Neues dadurch erreicht wird. Durch diesen Prozess wird das dunkle materielle Universum geschaffen, das in einem Pleroma von polaren Potenzen und Kräften besteht. Damit etwas qualitativ Neues aus dieser dunklen Welt entstehen kann, muss dieses Machtspiel der beiden Kräfte zerbrochen werden, und zwar durch einen Blitz oder Schrack. Das ist aber schon eine andere Geschichte.
Fassen wir also noch einmal das Hauptergebnis dieses Gebets zusammen: Gottes Begierde ist mit des Menschen Begierde identisch (obgleich nicht gleichwertig) und Gott ist also auch ihr bewundernswertestes Ziel. Das wird auch an vielen anderen Stellen bestätigt: "O IMMANUEL; DU Ehestatt Gott und Mensch, in deine Armen, deiner Begierde gegen und in uns ergebe ich mich, deiner begehre ich." (IX, I, 43.). Und am Ende von demselben Gebet (IX,I,43) erklingt es ganz lapidar: "In dich ersencke ich mich ganz und gar, thue du in mir, was du willst. Amen."
Nur wenig Raum ist uns geblieben, um auch auf andere Aspekte, die an anderen Stellen von Böhmes Gebetsbuch zum Ausdruck kommen, unsere Aufmerksamkeit zu richten. Vielleicht hier nur ein paar Splitter:
Bei Böhme fehlt auch die Brautmystik nicht. Als die Braut des Mystikers tritt die Jungfrau Sofia auf. In einem Gebet Böhmes küsst die edle Sophia die Seele (IX,I,38):
Allhie tritt die Jungfrau, welche sich dem theuren Namen JESU, mit Christo dem Schlangen=Treter, als dem Gesälbten Gottes offenbaret, zur Seele, und küsset sie mit ihrer süssesten Liebe in der Essenz ganz innerlich, und drückt ihr ihre Liebe zum Siegs=Zeichen in ihre Begierde ein; und allhie stehet Adam nach seinem himmlischen Theil vom Tode auf in Christo. Davon ich nicht schreiben kann, das ist keine Feder in dieser Welt dazu, dann es ist die Hochzeit des Lammes, da das edle Perlein gesäet wird, zwar mit grossem Triumpf, doch ist es erstlich klein als ein Senfkorn, wie Christus saget.
Ganz zum Abschluss noch eine Bemerkung zu der von Böhme vorgestellten Gebetspraxis . Nach dem von uns jetzt ausführlich beschriebenen Gebet folgt unmittelbar ein Abschnitt, der den Titel trägt: Eine kurze Form der Beichte vor Gottes Augen. (trotz deklarierter Kürze nimmt es neun Absätze ein). Und da bemerkt Böhme ausdrücklich, dass der konkrete Wortlaut wie auch die Länge des Gebets sich nach der Erwägung jedes Einzelnen richtet. Da könnten wir dann vielleicht überrascht sein, dass der Verlauf der Gebete so genau notiert wird. Aber eher sollten wir gerade vom Gegenteil überrascht sein: Wir bewegen uns nämlich in einem Zeitalter, in dem alles Geschehen auf religiösem Felde schon festgelegt war, bis hin zu entsprechenden Formen und Formeln, und wenn Böhme hier schreibt: "Diese Beichte mag ihm ein Jeder nach seinem Anliegen formiren und vermehren, wie ihn der H. Geist wird lehren..", (unbedingt vor IX,I,19) so ist das etwas, was ihn schon eher in die Independenten und Quäker einreiht, als die ordentlichen Lutheraner. Das Buch "Von der wahren Busse" enthält fast nur Gebete; dabei wechselt immer ein "mystisches" mit einem "Buß-" oder "Anfechtungsgebet" ab, die den allgemeinen Menschenzustand berücksichtigen und auch sehr das Herz anrühren: Wir treffen in ihnen Passagen an wie die folgende, mit der wir auch diesen Aufsatz schließen möchten:
"...O höchste liebe! bist du doch in mir erschienen, bleibe doch in mir, und fasse mich in dich, halte mich doch in dir, daß ich nicht von dir weichen kann; erfülle doch meinen Hunger mit deiner Liebe, speise doch meine Seele mit deinem himmlischen Wesen und träncke sie mit dem Blute meines Erlösers Jesu Christi, träncke sie doch aus deinem Brünnlein.
O grosse Liebe! wecke doch mein verblichenes Bilde, welches in meinem Vater Adam am Himmelreich verblich, durch das Wort, das es in des Weibes Samen in Maria aufweckete, auf, Herr bewege du es doch..."
Résumé
Článek se zabývá modlitbou u Jakoba Böhma a mystickými i filosofickými postoji, jež jsou jejím podkladem. Opírá se především o modlitby v Böhmových spisech Vom wahren Busse a Gebetbüchlein, příležitostně i jiných. Hlavním motivem a hnací silou Böhmovy modlitby je VÁŠNIVÁ TOUHA (Begierde; možno překládat též "žádost"). Neobyčejnost Böhmovy modlitby netkví v její formě – ta je velmi tradiční, ale ve filosofickém fundamentu, na němž spočívá. Žádost, kterou prokazujeme naši schopnost dosáhnout Boha, je totiž tvůrčím praprincipem, je božská a boží, tj. Bůh sám se vyjadřuje touto žádostí. Bez této žádosti by nebylo světa, ba ani samotného projeveného božství. Tato vášeň má svůj protipól a vyústění v světlém principu lásky, jenž je jakousi cílovou transformovanou podobou této vášně. Myšlení v kontrastních dvojicích protipólů je pro Böhmovu kosmogonii vůbec charakteristické, dokonce dává povstat čemusi, co bychom mohli popsat řečí moderní matematiky jako binární strom. Procesem transformace a sjednocení musí projít celá příroda, i člověk a jeho srdce. V něm se pak jeho vášnivá touha setkává s láskou Ježíše Christa a vnáří se do ní a volá "Ich kann nichts mehr, als ich ersencke meine Begierde in dich" Tím se v mystikově srdci uzavírá kruh od prvotního pohybu k spočinutí, od stvoření k vykoupení. V Böhmově modlitební knížce ovšem nacházíme i texty jiné – například návod k vyznání hříchů i jásavé popisy duše snoubící se s Pannou Sofií.
[1] Was ist eigentlich Theosophie? Böhme verwendete dieses Wort häufig. Wir befinden es auch in dem Titel von mehreren von seinen Werken. In dem Buch ARBATEL, die nach seinen frühesten Erscheinungen bis zum Jahr 1531 datiert wird, ist Theosophie ein Teil der Scientia Boni, die selbst weiter geteilt wird in notitiam verbi Dei(also Theologie) und notitiam gubernationis Dei, welche die Erkenntnis der Engel und Geister und ihres Dienstes bringt und öffnet. Im Sinne von dieser Einteilung können wir also Tehosophie als eine (Er)kenntnis des Höheres, des Übermenschliches bezeichnen. (Auch schon dafür, dass der andere Teil der scientia boni heisset in dem genannten Buch "Anthroposophia" und behandelt über den Menschen und die Natur, also über Gegenstände, die Traditionell zum aristotelischen Physik bzw. Ethik gehören. Solche Auffassung lieg dem renaissance Usus in Vwerwendung von diesem Termin zugrunde. Es war also damals nicht wie heute, wann auf diesem Wort immer etwas Schamhaftiges und Marktschreierisches klebt. Und sogar es ist nich Schuld der Theosophie oder der damaligen Theosophen, dass sie in modernen Zeiten so ein zweifelhaften Ruhm erlangen hat. Zwischen dem 16.Jahrhundert und Heute liegt nämlich das Säkulum des Rationalismus, mit seinem Begriff des und seiner Auffasung von dem "'Ubernatürlichem" - wie von etwas, was aus physikalischen Gründen nicht zu erklären ist. Solche "übernatürliche" Tatsachen sind dem Rationalismus ungewollt, und werden darum ostrakiziert und als zweifelhaftig bezeichnet. Und solche Auffasung von den übarnatürlichen Dingen haben wir auch geerbt. Wir könnten es etwa so beschreiben: Während bei dem Menschen der sechzehnten Jahrhundert, auch bei dem forschenden und prüfenden gelehrten, war seine Anschauung etwa in zwei gleichmäßige Teile geteilt, mit denen er auf den Himmel und die Erde schaute, ist der moderne Mensch mit seinem Blick auf den Erdboden fixiert und nur sehr wenig von das über sein Horizont kommt in seinem Sehkreis . Erst für den modernen Menschen ist die Welt dasGegenstand nicht nur seiner Arbeitsbemühung, sonder such seiner Begierde, seiner Wunschträume, seiner Erkenntnisleidenschaft, seiner Zukunftsentwürfe geworden. Wenn man also heute von der Erweiterung von Horizonten, von überirdischen Welten spricht, wirkt das auf heutigen Menschen ungeheuer störend. Der Impuls von Rationalismus und Aufklärung sich der Erde und ihrer Pflege zu widmen lebt noch immer stark auch in den Menschen unserer Ära.
[2] Das schon Angeführte ist nicht das ganze Gebet. Und derweil bei anderen zitierten Gebeten werden wir immer nur den wichtigen Abschnitt angeben, führen wir hier das ganze Gebetes (siehe unten), damit der Leser sich eine Vorstellung bilden kann von der Umfang des Ganzen:
[3] Vgl. DrfLeb 8,32f.: Ein Principium ist ein eigen Leben, und hat sein Centrum zur Natur, und darum heisen wirs Principium, daß ein gantz Regiment darinnen ist, als wie in der Ewigkeit; das nichts höhers oder mehreres begehret, als nur dasjenige was in seinem eigenen Centro mag erboren werden: Wie ihr dis am Himmel-undHöllen-Reich gut nachdencken habet, dann der Himmel begehret nur Göttlich Wesen, und die Hölle grimmiges, mörderisches, feurisches, herbes, hochfliegendes, hartgebärendes, und was des Zorns Eigenscheft ist im Feuer.
Also denn